SCHEIN

03 SCHEIN
126 bpm ::: 3-55 min [Bettina Bormann / Michael Krüger]
2008 vom Album 10 Grad vor OT, Oberer Totpunkt
Lyrics: Bettina Bormann
Komposition, Bass, Drums: Michael Krüger

Mix & Mastering: Tom Wendt
Label: Danse Macabre Records

Als sie ihr erstes Baby getötet hatte, weinte sie bitterlich. Ohne zu
schluchzen. Lautlos. Ihre Schultern zuckten dann und wann. Das geschah direkt nach der Entbindung, die sie allein auf der Toilette überstanden
hatte.

Sein – Schein

Damals war sie fünfzehn gewesen. Und der Vater ihres Kindes war längst mit einer anderen zusammen. Ihre Eltern und ihre Mitschüler hatten ihre Schwangerschaft nicht bemerkt.

Der Vater ihres zweiten Kindes hatte ihr während der gesamten Schwangerschaft immer wieder Vorwürfe gemacht, weil sie nicht besser aufgepasst hatte. Aber sie hatte sich doch so sehr ein Baby gewünscht! Eine Woche nach der Geburt stellte er sie vor die Wahl: DAS – oder ich! Nachdem das Kind fort war, fragte er nicht einmal nach seinem Schicksal. Das tat auch niemand sonst.

Das dritte Kind tötete sie, weil sie es davor bewahren wollte, mit dem cholerischen Alkoholiker zusammen zu leben, der zu der Zeit ihr Partner war. Sie selbst hatte Mühe, ihre vielen blauen Flecke zu verbergen. Alkohol war auch zu ihrem besten Freund geworden, der ihr das Leben irgendwie weicher erscheinen ließ, wattiert fühlte sie sich dann.

Das Baby, das war ihr aber trotzdem aufgefallen, hatte ausgesehen wie ein kleines Äffchen. Jedenfalls nicht wie ein Menschenkind. Oft saß sie summend auf dem Balkon. Wenn sie gerade nicht summte, dann bewegten sich ihre Lippen wie in angeregtem Gespräch, aber stumm. Manchmal gestikulierte sie dabei sogar, so eifrig war sie in sich vertieft.

Doch meistens summte sie nur. Dann war ihr als vernehme sie die fernen

Klänge von hellen Stimmen, ein Lachen aus unbeschwerten Kehlen. Ihr war dann leicht ums Herz und warm und die Einsamkeit lastete dann nicht mehr auf ihr. Sie saß da zu jeder Jahreszeit, ungeduldig auf den Frühling wartend.

Darauf, dass die Blumen, die sie gesät hatte, endlich ihre fleischigen, rosa Köpfe aus der Erde streckten.

Der Sonne entgegen.

Von keinem ihrer Kinder hatte sie sich trennen können. Unbemerkt hatte sie jedes von ihnen bestattet.

Jedes in einem Blumenkasten auf ihrem Balkon.

Wenn sie da sitzt, dann hat sie Frieden.

Dann liegt ein Lächeln auf ihrem blassen Gesicht.

Dann sieht sie fast hübsch aus.